Seit Ausbruch der Covid-19 Pandemie ist vielen Menschen noch mehr bewusst, wie grundlegend wichtig das Thema „Pflege“ ist. Denn wir alle möchten im Ernstfall bestmöglich versorgt sein: medizinisch wie menschlich. Nicht umsonst wurde deshalb die Wertschätzung für den Pflegeberuf deutlich ausgedrückt – mit hörbarem Applaus und vielen dankbaren Gesten. Doch nun stellt sich die Frage: Was kommt nach dem Applaus?
Um genau diese Frage zu erörtern, fand am 25. April 2022 eine hochkarätige Diskussionsrunde im BZPG statt. Die Auszubildenden und Lehrkräfte der renommierten Pflegeschule tauschen sich mit Vertreter:innen der Politik aus. Podiumsgäste waren Hendrik Schmitz (CDU), Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD), Laura Postma (Bündnis90/Die Grünen) und Werner Pfeil (FDP).
Corona-Pandemie als Brennglas
Konsens herrschte bei der Einschätzung der momentanen Lage: Die Corona-Pandemie hat wie mit einem Brennglas gezeigt, wie wichtig und „systemrelevant“ die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind. Sie erfuhren große Wertschätzung, es gab sogar Applaus. Doch: Was folgt nun ganz konkret für die Fachkräfte der Pflege- und Gesundheitsberufe? Gibt es praktische und handfeste Unterstützungsmaßnahmen? Wie erreicht man, dass wir keinen „Pflegenotstand“ mehr beklagen müssen? Welche Perspektiven gibt es, was ändert sich? Und wie lassen sich aktuelle Herausforderungen bewältigen? All dies sind wichtige, gesellschaftspolitische Fragen. Angeregt wurden sie in der Podiumsrunde diskutiert.
Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal
Einig waren sich Alle, dass mehr MIT den Pflegenden, als ÜBER sie gesprochen werden muss. Doch was muss konkret geschehen, damit sich die Lage für Pflegende zum Besseren verändert? Wesentlich ist sicher eine faire und gute Bezahlung, neben besseren Personalschlüsseln und Arbeitsbedingungen. Denn längst nicht alle Träger bezahlen nach Tarif. Da die Einflussmöglichkeiten der Politik hier begrenzt sind, waren sich alle Vertreter einig, dass der Pflegesektor starke Gewerkschaften braucht.
Zentral: Mitsprache in einer Pflegekammer
Nach Auffassung von CDU, FDP und Grünen aber mindestens genauso wichtig: eine Pflegekammer, die die Interessen der Pflegenden im Gemeinsamen Bundesausschuss – dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands –, vertritt. Dieses oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung ist zwar besetzt mit Mediziner:innen, Krankenkassen und Krankenhäusern – die Pflege jedoch hat hier bisher keine eigene Stimme! Ein guter Grund, tatkräftig die Pflegekammer NRW zu unterstützen, die sich gerade in der Gründung befindet.
Thomas Kutschke ging ins Detail: Ärztinnen und Ärzte etwa hätten mit der Ärztekammer eine starke Lobby, mit der sie ihre Interessen erfolgreich vertreten. So transportieren sie die Botschaft: Wir sind wichtig, wir brauchen Leute, gute Ausstattung und gute Bezahlung. Bei der Pflege fehlt diese Lobby völlig und es wird wieder nur über die Pflege gesprochen und nicht mit ihr. Werner Pfeil (FDP), als Rechtsanwalt selber Mitglied einer Berufskammer, berichtete von eigenen positiven Erfahrungen. Es sei absolut hilfreich, wenn sich gut informierte Fachleute der berufsständischen Fragen annehmen. Die gesamte Berufsgruppe wird so etwa bei Verhandlungen kompetent vertreten.
Aus Überlastung in die Teilzeit-Stelle: Ist das eine Perspektive für junge Leute?
Weitere Themen, die diskutiert wurden: Immer mehr Pflegende wechseln wegen der zu hohen Arbeitsbelastung von Vollzeit in Teilzeit. Was sind das für Perspektiven für Auszubildende? Warum gibt es das Pflegestudium nur berufsbegleitend? Und wer schafft endlich die passenden Arbeitsstellen für Pflegende mit akademischem Abschluss?
Grundübel: die Profitausrichtung des Gesundheitswesens
Es muss an sehr vielen Schrauben gedreht werden, da waren sich Pflege-Experten und Politik einig. Eva-Maria Voigt-Küppers (SPD) stellte dann auch eine zentrale Frage: Ist es richtig, medizinische Versorgung und das Gesundheitswesen als profitorientiertes Feld zu betrachten? Denn durch diese Ausrichtung wird dort gespart, wo keinesfalls gespart werden dürfte: an der Zahl der Beschäftigen zum Beispiel. Henrik Schmitz (CDU) ergänzte, dass Dienstpläne in der Praxis nur auf dem Papier bestehen. Überlastung müsse reduziert und mehr Personal eingestellt werden. Der „Druck“ müsse aus dem System genommen werden. Konkrete Lösungen wurden nicht genannt – aber die „Bestandsaufnahme“ konnte von allen Seiten bestätigt werden. Laura Postma (Bündnis 90/Die Grünen) warf in die Runde, dass unter diesen Umständen Bonuszahlungen für Pflegende nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien. Die Gehälter müssen angepasst werden und flexible Arbeitszeiten für Berufstätige mit Kind etabliert werden.
Welche konkreten Perspektiven gibt es für die Zukunft?
Die Auszubildenden und Lehrkräfte des BZPG sind überzeugt: „Nur eine attraktive Pflegeausbildung und gute Arbeitsbedingungen sorgen langfristig für eine bestmögliche Versorgung alter und kranker Menschen. Applaus ist schön – ersetzt aber keine praxisnahen, guten Rahmenbedingungen. Und hier ist noch viel Luft nach oben.“
Thomas Kutschke, BZPG-Geschäftsführer, ergänzt: „Die Arbeit im Gesundheitssektor ist eine sehr sinnstiftende Tätigkeit, aber gleichzeitig auch durchaus belastend. Uns ist es wichtig – gemeinsam mit allen Beteiligten –, die Eckpunkte der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen kontinuierlich zu verbessern. Denn nur dann können diese so wertvollen Berufe bestmöglich ausgeübt werden. Deshalb möchten wir weiterhin die Pflegeausbildung optimieren – und damit auch gute Karriereperspektiven bieten.“
Das BZPG dankte zum Schluss allen Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung, die zeigte, dass die „junge“ Pflege in Dialog treten will mit der Politik. In fünf Jahren wird die Politik an ihren Taten gemessen!
Weitere Informationen:
https://www.pflegekammer-nrw.de
Flyer "Gemeinsamer Bundesausschuss"
Personalnot – was tun? (Beitrag Website Landespflegekammer Rheinland-Pfalz von März 2022)